Wie wird eigentlich Cidre hergestellt? Kann man dafür jeden Apfel verwenden? Welche Faktoren sind maßgeblich für Geschmack und Qualität des Cidre? Und wieso gibt es eigentlich verschiedene Geschmacksrichtungen beim Cidre?
Cidre wird in Frankreich in einigen Regionen hergestellt, aber nur zwei Regionen in Frankreich sind berühmt dafür, den besten Cidre herzustellen: die Normandie und die Bretagne.
Wir wollten es genauer wissen und fragten unsere Freunde aus der Normandie, ob sie einen Cidre-Hersteller kennen würden, der bereit wäre, unsere Fragen zu beantworten und uns die Cidre-Herstellung zu erklären. Wir hatten Glück. Innerhalb weniger Tage hatten wir die Zusage einer Cidrerie, und so fuhren wir an einem heißen Tag im Juli 2022 nach Bricqueboscq zur Cidrerie "Le Père Mahieu".
Bricqueboscq liegt in der Normandie auf der Halbinsel Cotentin, im Departement La Manche. Die kleine Gemeinde liegt ca. 25 Kilometer westlich von Valognes und ca. 15 Kilometer südwestlich von Cherbourg-en-Cotentin entfernt.
In Bricqueboscq empfing uns - bestens gelaunt - Aurore Pismont, die Tochter des Firmeninhabers Alain Pismont. Wie wir schnell merkten, waren wir bei einem echten Trendsetter zu Gast. Die Cidrerie "Le Père Mahieu" produziert nicht einfach "nur Cidre", sondern sie produzieren Bio-Cidre. Neben Cidre produzieren Sie aber auch Apfelsaft, Pommeau und den berühmten Calvados.
Unterschied zwischen Bio-Cidre und Cidre
Bio-Cidre ist Cidre, der nach den Prinzipien der ökologischen Landwirtschaft hergestellt wird. Bei der Produktion des Cidres werden keine Pestizide oder chemischen Düngemittel eingesetzt. Stattdessen werden natürliche Methoden verwendet, um die Apfelbäume zu pflegen und Schädlinge zu kontrollieren. Dadurch entsteht ein gesundes Lebensmittel von bester Qualität.
Das hat natürlich auch seinen Preis: Cidre aus Massenproduktion, der beim Discounter verkauft wird, liegt preislich bei ca. 1,60 Euro pro Flasche, die Flasche Bio-Cidre kostet dagegen 5,90 Euro.
Obstanbau mit natürlichen Helfern statt Chemikalien
Ausgangsprodukt für Cidre sind natürlich Äpfel. Aber wie hält man Schädlinge von ihnen fern?
In der konventionellen Landwirtschaft werden Kunstdünger und Pestizide eingesetzt, um das Wachstum zu steigern und Schädlinge von Apfelbäumen fernzuhalten. Doch welche Wege geht man in der biologischen Landwirtschaft? Die Cidrerie "Le Père Mahieu" setzt auf natürliche Helfer wie Bienen, Marienkäfer und Blaumeisen.
Bienenstöcke werden bereits vor der Apfelblüte in der Nähe der Plantagen platziert, um die Bestäubung zu fördern und die Fruchtbarkeit der Apfelblüten zu steigern.
Die nächsten bedeutenden Helfer sind die Marienkäfer. Marienkäfer sind für ihre Vorliebe für Blattläuse und andere schädliche Insekten bekannt. Sie verzehren die Insekten und beschützen somit die Apfelbäume auf natürliche Weise vor Schädlingsbefall. Dabei ist es wichtig, ständig zu kontrollieren, dass die Anzahl der Marienkäfer die Anzahl der Schädlinge übertrifft. Sollten einmal die Marienkäfer in der Minderheit sein, werden zusätzliche Marienkäfer hinzugefügt, die zuvor als Marienkäferlarven herangewachsen sind.
Insgesamt kam dies bei der Cidrerie bisher aber nur einmal vor. Seitdem sind die Marienkäfer wohl in der Mehrzahl, wie uns Aurore berichtet. Außerdem geht sie auf das Gleichgewicht im Ökosystem ein: 'Jeder Obstgarten hat ein eigenes Ökosystem, und unsere Rolle ist es, dafür zu sorgen, dass das Gleichgewicht erhalten bleibt. Unser Ziel ist nicht, dass nur die Marienkäfer bleiben, sondern dass die Marienkäfer zahlreicher sind als die Insekten, damit das Ökosystem erhalten bleibt', so Aurore Pismont weiter.
Die dritte Gruppe der Helfer sind Blaumeisen. Hierfür setzt die Cidrerie pro Hektar 5-6 Nistkästen mit Blaumeisen ein. Ein Blaumeisenpaar frisst von Mai bis Juli ungefähr 500 bis 700 Insekten täglich.
Kann man jeden Apfel für die Cidre-Herstellung verwenden?
Defintiv nicht! Die Apfelplantagen in der Normandie sehen idyllisch aus. Vielleicht haben Sie insgeheim schon einmal den Wunsch gehabt, einfach einen Apfel vom Baum zu pflücken und hineinzubeißen. Doch lassen Sie es lieber sein. Auf vielen dieser Plantagen werden spezielle Apfelsorten angebaut, die nur für die Cidre-Produktion bestimmt sind.
Diese Apfelsorten werden für Cidre aus der Normandie verwendet
Geschmacklich unterscheiden sich die Äpfel, die für den Cidre verwendet werden, deutlich von den Äpfel, die zum Verzehr bestimmt sind. Je nach Sorte haben sie einen leicht bitteren bis herb-säuerlichen Geschmack.
Die Apfelsorten für Bio-Cidre und konventionellen Cidre unterscheiden sich übrigens nicht. Es sind die gleichen Sorten. Auch der Herstellungsprozess von Cidre ist identisch. Die Unterschiede bestehen – wie oben beschrieben – im Obstanbau, je nachdem, ob biologische Landwirtschaft oder konventionelle Landwirtschaft betrieben wird.
Der Cidre aus der Normandie zeichnet sich durch seine Fruchtigkeit, Säure und Komplexität aus. Er kann eine breite Palette von Aromen aufweisen, von fruchtig und blumig bis hin zu erdigen oder würzigen Noten.
Später, im Herstellungsprozess, werden diese Apfelsorten dann miteinander gemischt, um dem Cidre geschmacklich eine bestimmte Richtung zu geben oder Aromen stärker zu betonen.
Unter anderem folgende Apfelsorten werden speziell für den Cidre aus der Normandie angebaut:
- Douce Moen (bitter-süß)
- Douce coet ligné (mild)
- Marie Menard (bitter)
- Jeanne Renard (bitter)
- Judor (fruchtig)
Die Apfelblüte in der Normandie
Der Apfel durchläuft einen mehrmonatigen Wachstumszyklus, beginnend mit der Apfelblüte, gefolgt von der Fruchtentwicklung, Reife und schließlich der Ernte. Die Apfelblüte ist quasi "die Geburt" eines Apfels. Während der Apfelblüte produzieren die Blütenknospen Pollen, der von Insekten wie Bienen von Blüte zu Blüte getragen wird. Dieser Prozess wird als Bestäubung bezeichnet. Wenn eine Blüte erfolgreich bestäubt wird, entwickelt sie sich weiter und bildet einen kleinen Fruchtansatz. Dieser Fruchtansatz wächst im Laufe der Zeit zu einem ausgereiften Apfel heran.
Die Apfelblüte in der Normandie ist ein lohnenswertes Motiv für Fotografen und Naturliebhaber. Sie dauert von April bis Juni. Es gibt Touristen, die ihren Normandie-Urlaub extra in die Blütezeit legen. Während dieser Zeit verwandeln sich die Apfelbäume in ein Meer aus zarten Blüten, das die Landschaft mit einem Hauch von Rosa und Weiß überzieht.
Bei der Cidrerie "Le Père Mahieu" findet die Apfelblüte auf eigenen Apfelplantagen statt. Die Cidrerie verfügt insgesamt über 25 Hektar, wo nur Äpfel aus biologischer Landwirtschaft wachsen und verwendet für ihren Apfelsaft, Cidre und Calvados auch nur Äpfel aus eigenem Anbau.
Äpfel vom Boden und nicht gepflückt
Im Zeitraum April bis September wird außerdem das Gras regelmäßig mit Rasenmähern geschnitten, um es kurz zu halten. Denn in der Normandie ist es alte Tradition, dass man wartet bis die Äpfel auf den Boden fallen. Hier gilt die Regel, dass ein Apfel erst dann reif ist, wenn er auf den Boden fällt. Anders als beispielsweise in Hessen, wo man Äpfel für "Ebbelwoi" vom Baum schüttelt, ist jegliches Schütteln, Schlagen oder Pflücken für normannischen Äpfel verpönt.
Die Ernte
Von Mitte September bis Mitte Dezember erfolgt die Apfelernte. Nach dem die Äpfel runtergefallen sind, werden die Äpfel aufgesammelt. Anschließend werden sie mit mit Trakoren zur Cidrerie gefahren und dort abgekippt. Insgesamt braucht man jede Menge Äpfel, um Cidre herzustellen. Ein Traktor-Anhänger hat ein Fassungsvermögen von ca. 7 Tonnen Äpfel.
Die Äpfel kommen auf das Förderband und werden sortiert und gewaschen. Dabei werden Blätter und schlechte Äpfel entfernt. Die Äpfel, die gut genug für die Cidre-Produktion sind, werden anschließend ein 2. Mal gewaschen.
Das Pressen der Äpfel
Im nächsten Schritt werden die Äpfel zerkleinert. Eine Maschine zerquetscht und zermahlt sie. Anschließend werden die Äpfel über einen Schlauch in die Presse transportiert.
Da die Cidre-Produktion in der Normandie eine lange Tradition hat, gab es im Laufe der Jahrhunderte eine große Entwicklung bei den Pressen. Waren es bis in die 1970er Jahre hinein mechanische Pressen, wo die Äpfel unter großem Kraftaufwand von Menschen gepresst wurden, werden heute hydraulische Pressen eingesetzt.
Die Cidrerie "Le Père Mahieu" setzt auf eine Presse, die aus einem Stahl-Käfig besteht. Im Inneren befindet sich ein Schlauch aus Kautschuk. Umso mehr Äpfel in dem Schlauch sind, umso mehr dehnt sich Schlauch der Schlauch aus. Anschließend zieht sich der Kautschuk wieder zusammen. Das ist ein wiederholender Prozess. Auf diese Weise wird der Saft aus den Äpfel gepresst und fließt danach durch die Löcher im Käfig heraus.
Dieser Prozess dauert insgesamt 2 Stunden. Am Ende ist ein Vorprodukt entstanden: Apfelsaft
Die Gärung
Der Saft kommt in einem Container, der bis zu 2.500 Liter Apfelsaft fassen kann. Anschließend wird er auf 8 bis 10 Grad Celsius heruntergekühlt.
Dann wird der gewonnene Apfelsaft in Tanks aus Edelstahl zur Gärung gegeben. Jetzt beginnt die natürliche Fermentation: Der Zuckergehalt im Saft wandelt sich zusammen mit den natürlichen Hefen in Alkohol um. Während dieser 3- bis 5-monatigen Reifephase entwickelt der Cidre seine komplexen Aromen und seinen einzigartigen Charakter. Die Reifedauer variiert dabei je nach gewünschtem Geschmacksprofil. So reift ein Cidre brut länger als ein Cidre doux.
Gleichzeitig werden während dieser Reifephase Stichproben des Cidre genommen und die Hefen unter dem Mikroskop gezählt. Anschließend wird die Menge an Hefe wird im Laufe der Zeit nach und nach verringert.
Warum macht man das? Wenn die Hefe in zu großer Menge vorhanden wäre, würde dies zu einer übermäßigen Produktion von Alkohol führen. Gleichzeitig würden abgestorbene Hefezellen auch unerwünschte Aromen freisetzen.
Diese Herstellung ist zeitaufwendig und langsam, aber das Ergebnis ist dann ein Cidre, der die höchste geschmackliche Qualität erreicht.
Allerdings gilt dieser Herstellungsprozess nur für qualitativ hochwertige Cidres und Cidres mit geschützter Ursprungsbezeichnung. Nur etwa 3% der Cidres aus Frankreich werden auf diese Weise hergestellt. Bei den anderen 97% der Cidres findet keine Flaschengärung statt, sondern der Cidre wird mit Kohlensäure versetzt.
Und noch etwas ist anders bei industriell hergestelltem Cidre: Der Apfelsaft wird direkt nach dem Verlassen der Presse gefiltert, um alle natürlichen Hefen zu entfernen. Stattdessen werden exogene Hefen, also Hefen von außen, hinzugesetzt. Dadurch wird die Produktion schneller, um die große Nachfrage der Supermarktketten zu befriedigen und dem Preisdruck gerecht zu werden.
Die Verkostung
Die Normandie ist stolz auf ihre Cidre-Verkostungen, bei denen die Vielfalt der Aromen und Stile präsentiert wird. Viele Cidrerien bieten Verkostungen an, um die Besucher von ihrem Cidre zu überzeugen. Auch die Cidrerie "Le Père Mahieu" bietet solche Verkostungen an. Weitere Informationen finden Sie auf der Website unter: www.leperemahieu.com
Von trocken bis süß, von spritzig bis still, gibt es für jeden Geschmack etwas. Cidre wird oft zu herzhaften Gerichten wie Crepes, Käse und Meeresfrüchten serviert und ergänzt diese perfekt. Mehr über die verschieden Geschmacksrichtungen und Cidre im Allgemeinen, erfahren Sie in unserem Artikel Alles Wissenswerte über Cidre.
In der Normandie ist die Cidre-Herstellung nicht nur ein Handwerk, sondern eine lebendige Tradition, die Generationen von Bauern und Cidre-Liebhabern verbindet. Der charakteristische Geschmack und die kulturelle Bedeutung des normannischen Cidres machen ihn zu einem einzigartigen Getränk, das man unbedingt probieren sollte, wenn man die Region besucht. Die Cidre-Herstellung in der Normandie ist ein echtes Beispiel für die Verbindung von Tradition und Geschmack.